Ein Gastbeitrag von Julian Witzorky aus der LGBT-Community

„Woran denkst du, wenn du an die LGBT*-Community denkst? An schrill gekleidete Menschen, die auf Paraden am Christopher Street Day ausgelassen feiern? An bunte Regenbogenflaggen? Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Um die Diskriminierung zu erkennen, der Mitglieder der LGBT*-Community noch heute ausgesetzt sind, muss man sich nicht einmal die ganze Welt anschauen. Dazu genügt schon ein Blick innerhalb der EU.

Denn in den letzten Jahren hat sich die Situation vor allem in Polen und Ungarn dramatisch zugespitzt. Seit 2019 wurden in Polen in vielen Landkreisen oder Gemeinden Resolutionen gegen die sogenannte „LGBT-Ideologie“ verabschiedet und „LGBT-freie Zonen“ ausgerufen. Von der Frühsexualisierung der Kinder in den Schulen ist die Rede, dort soll „aufgezwungene politische Korrektheit“ verhindert werden.
Auch die ungarische Regierung von Viktor Orbán hat mit dem Gesetz zur Beschränkung der Information über Homo- und Transsexualität, das Anfang Juli dieses Jahres in Kraft trat, ein höchst menschenverachtendes Gesetz auf den Weg gebracht. Und das unter der Prämisse, Minderjährige schützen zu wollen. Verboten wurde „Werbung“ für „Lebensstile“, die von der Heteronormativität abweichen. Zu Medien, die solche Inhalte enthalten, sollen Minderjährige in Ungarn keinen Zugang haben.
Diese katastrophalen Entwicklungen wurden von der EU-Kommission scharf kritisiert und als Reaktion auf das neue ungarische Gesetz wurde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest eingeleitet. Das begrüße ich natürlich sehr, doch wie sieht es in Deutschland aus?
Gesetze und Resolutionen wie in Ungarn oder Polen – davon sind wir hier selbstverständlich weit entfernt. Ganz im Gegenteil sogar, seit 2017 gibt es die Ehe für alle und für transidente Personen wie mich sind die Anpassung des Namens und Personenstandes sowie geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen möglich. Im Sexualkundeunterricht findet zumindest teilweise eine Aufklärung über LGBT-Themen statt.
Oft lese ich, dass Menschen der Meinung sind, es sei doch alles erreicht in Punkto Gleichberechtigung der Mitglieder der LGBT*-Community. Man könne sich doch glücklich schätzen, in Deutschland zu leben. Aber es gibt innerhalb der EU einige Länder, die mit besserem Beispiel vorangehen, als Deutschland es tut.
Dazu ein Beispiel aus meinem Leben als transidenter Mann, dem bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde: Während ich in Deutschland einen Antrag beim Gericht stellen muss und zwei unabhängigen psychologischen Gutachter*innen meine Lebensgeschichte erzählen darf, um meinen Namen und Personenstand ändern zu dürfen, geht das anderswo wesentlich einfacher. Sieben Mitgliedsstaaten der EU – darunter Malta und Portugal – erlauben diese Änderung durch eine Selbstauskunft der betroffenen Person. Ja, so etwas geht auch ohne ein monatelanges und bürokratisches Gerichtsverfahren und Gutachtergespräche, die mehrere tausend Euro kosten und die ich aus eigener Tasche zahlen darf.
Das 40 Jahre alte Transsexuellengesetz, das diesen Prozess vorschreibt, gehört deshalb endlich abgeschafft! Die psychologischen Gutachten mit teilweise intimsten Fragen sind entwürdigend und vor allem eines: unnötig. Denn nur eine Person weiß, wer ich bin. Und das ist kein Gutachter, sondern das bin ich selbst.“