Interview: Das Leben in Bosnien und Herzegowina als Journalist
Haris, wie siehst du die aktuelle Situation in Bosnien und Herzegowina?
Das ist eine schwierige Frage. Du lebst dein Leben, es ist meistens schön, aber du hast das Gefühl, dass eine sehr graue Wolke über dir schwebt, die dein Leben völlig verändern könnte. Diese Wolke ist der Nationalismus, der dazu führen könnte, dass Politiker*innen versuchen, gefährliche Ideen umzusetzen, die diese Region bereits viele unschuldige Menschenleben gekostet haben. Die Lage ist im Moment sehr angespannt und lässt wenig Optimismus zu. Wie immer, brauchen wir die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Doch wir sind uns der Tatsache bewusst, dass es während des Krieges [in der Ukraine] kaum dazu kommen wird. Deshalb haben wir keine andere Möglichkeit als zu hoffen und zu versuchen, mit den internationalen Akteuren zusammenzuarbeiten. Wir müssen dem Land zu helfen, auf den richtigen Weg zu kommen.
Welche politischen Veränderungen sind erforderlich?
Ein Umdenken. Wir müssen aufhören, das ethnisch geprägte Denken zu übernehmen und stattdessen unsere Energie auf wirtschaftlichen Fortschritt, Kosmopolitismus, Offenheit und Empathie verlagern. Es ist hier so schwer, über Korruption zu sprechen, weil sie so tief in der Gesellschaft verwurzelt ist, dass ihre Bekämpfung einem Kampf gegen Windmühlen gleicht. Das ist traurig. Viele junge Menschen verlassen das Land.
Was hält dich dort?
Es sind vor allem meine Familie und meine Arbeit. Aber abgesehen von der katastrophalen politischen Lage kann das Leben hier sehr schön sein, wenn man einen guten Job hat. Es ist auch der Gedanke: Hey, jemand muss für dieses Land kämpfen. Trotzdem kann ich nicht versprechen, dass ich nicht beschließen werde, das Land zu verlassen und in einen weniger korrupten, weniger nationalistischen Teil der Welt zu ziehen.
Wenn du morgen früh in Sarajevo aufwachst und ein Wunder wäre geschehen. Woran würdest du es bemerken?
Am Lächeln in den Gesichtern der Menschen. Ich stelle mir das so vor, dass wir herausgefunden haben, dass es eigentlich egal ist, welcher Religion oder Ethnie man angehört. Dass Bosnien und Herzegowina ein Land ist, in dem alle willkommen sind, solange alle nur wohlwollend sind. Das ist meine letzte Hoffnung, die nicht stirbt – dass dieses Land wirklich ein Vorbild sein kann und dass es Länder übertreffen kann, die ihre Werte nicht auf Interkulturalität gründen
Haris Buljubašić ist Digitaljournalist bei Al Jazeera Balkans. Er berichtet aus verschiedenen Ländern und seine Schwerpunkte sind soziale und politische Themen. Das Interview wurde geführt von: Dr. Sonja Grabowsky