Die Waffen müssen schweigen
Gemeinsam mit den beiden Bundestagsabgeordneten Jan Dieren, Jens Peick und dem Europaabgeordneten Joachim Schuster habe ich den Aufruf „Die Waffen müssen schweigen!“ geschrieben. Der Aufruf hat weite Resonanz gefunden und ist ein politischer Faktor in der Debatte über die Meinungshoheit im Ukrainekrieg geworden.
Im Vordergrund des Aufrufs steht die Forderung an die Regierungen des Westens, statt zuvörderst auf Waffenlieferungen zu setzen, der Diplomatie ein größeres Gewicht zu geben, um endlich zu einem Waffenstillstand zu kommen. Die zentrale Botschaft lautet: Die Logik des Militärischen führt in den Abgrund. Die Logik der Diplomatie eröffnet die Chance auf Frieden. Zwischenzeitlich haben sich zu den Erstunterzeichner*innen unter anderem Prof. Dr. Christoph Zöpel (Staatsminister im Auswärtigen Amt a.D.), der Demografieforscher Prof. Gerd Bosbach und Reinhard Todt (Präsident des österreichischen Bundesrats a.D.) gesellt.
Mittlerweile ist der Krieg vorangeschritten. Die Ukraine hat wichtige militärische Erfolge im Nordosten des Landes erzielt und mehrere Städte und Dörfer von den russischen Besatzern befreit (Stand: 16.09.2022). Dabei wurden erneut Gräber mit Zivilist*innen gefunden, die vermutlich dem grausamen Angriffskrieg Russlands zum Opfer fielen. Dies muss unabhängig untersucht werden, um zu prüfen, ob es sich hier um Kriegsverbrechen handelt.
Die russische Regierung muss endlich begreifen, dass sie diesen Krieg nicht gewinnen kann. Sie hat offensichtlich ihre Kriegsziele verfehlt. Allerdings steht auch die Ukraine nicht vor einem militärischen Sieg. Die Geländegewinne der ukrainischen Armee sind kein Wendepunkt in diesem Krieg. Trotz der erfreulichen Siege der ukrainischen Regierung hat Russland nach wie vor die Eskalationsdominanz. Risiken für die Ukraine bestehen zum Beispiel darin, dass die russische Regierung Angriffe auf die Infrastruktur, Wasserversorgung, Energieversorgung etc. ausübt.
Der Westen will nicht in den Krieg hineingezogen werden. Daher schließt er z.B. eine Flugverbotszone aus oder deutsche Soldaten kämpfen nicht auf dem Territorium der Ukraine. Ebenso werden manche Waffengattungen wie Kampfpanzer und Kampfflugzeuge nicht geliefert. Die abwägende Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz ist in dieser Frage vollkommen richtig.
Die russische Regierung hat eine Teilmobilisierung ihrer Reservisten beschlossen und führt Pseudoreferenden über die Selbständigkeit von Regionen im Osten und im Süden der Ukraine durch. Hier droht eine weitere Eskalation des Kriegs, wenn die russische Regierung demnächst behauptet, dass ihr Territorium mit NATO-Waffen angegriffen wird. Ein weiterer Grund, so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand zu kommen. Gegen die Teilmobilisierung gibt es Widerstand in Russland. Die EU sollte all jenen Russen Asyl gewähen, die sich nicht als Soldaten in diesem Krieg zu Komplizen für den Bruch des Völkerrechts missbrauchen lassen wollen. Dazu ist ein Aufnahmeprogramm zu entwickeln.
Der Krieg ist vermutlich noch lange nicht zu Ende. Dennoch muss alles versucht werden, eine politische Lösung voranzutreiben. So sind Verhandlungen über einen Waffenstillstand und einen anschließenden Friedensvertrag auf allen Ebenen zu führen. Es ist ein großer Fehler, nur auf Waffengewalt und nicht auf Diplomatie zu setzen. Insbesondere Washington ist gemeinsam mit den anderen westlichen Staaten, den Vereinten Nationen und unabhängigen Staaten gefordert, endlich neue diplomatische Initiativen zu entwickeln. Wir müssen dem Frieden eine Chance geben.