Europawahl: Die Bedrohung durch die Extremen Rechten ist real
Nicht erst seit Kurzem sind die Zahlen alarmierend: Die aktuelle Prognose für die Sitzverteilung des Europäischen Parlaments (EP) nach den Wahlen im Juni zeigt einen Anstieg der extrem rechten Fraktionen um rund 30 Sitze. Verlierer werden vor allem die Grünen und die Liberalen sein. Die Zahl der Fraktionslosen, unter denen sich jedoch auch zahlreiche äußerst Rechte befinden, bleibt ungefähr gleich. Aber schon jetzt zeigt sich: Der so genannte Cordon sanitaire, also die Übereinkunft linker Parteien und jenen der Mitte, auf die Zusammenarbeit mit den extrem rechten Fraktionen zu verzichten, bröckelt immer mehr. Das zeigt nicht zuletzt die Erklärung Ursula von der Leyens, gefragt nach möglicher Kooperation mit der Fraktion EKR, zu der Parteien wie die von Georgia Meloni oder die PiS-Partei Polens oder die rechtsextreme spanische Vox-Partei gehören, sie wolle erst einmal die Zusammensetzung der Fraktion abwarten, um über eine Kooperationen zu entscheiden.
Zwei weitere Aspekte sind m.E. in diesem Kontext bedeutsam: 1. Es wird sich nicht nur das EP nach Rechts verschieben, sondern ebenso die Kommission, deren Mitglieder durch die Regierungen der Mitgliedstaaten (MS) nominiert werden. Und auch im Rat, also unter den die Staats- und Regierungschef*innen der MS, gibt es mehr und mehr extrem rechte Politiker*innen. 2. Die sogenannte bürgerliche Mitte ist Teil der Diskursverschiebung nach Rechts. Bestes Beispiel dafür ist die Abstimmung über das Gemeinsame Europäische Asylsystem, das die Grundrechte von Menschen auf der Flucht kurzerhand so gut wie abschafft.
Und was wird sich konkret vor Ort mit stärkeren extrem rechten Fraktionen verändern? Unter anderem werden sie Zugriff zur Ausgestaltung legislativer Berichte haben. Sie können wichtige Positionen in Ausschüssen und Delegationen übernehmen. Sie haben bessere finanzielle Möglichkeiten, um ihren Apparat auszubauen und Veranstaltungen durchzuführen. Sie können Abstimmungen scheitern lassen etc. Und von organisatorischen Fragen abgesehen: Sie würden mit ihrem Kulturkampf gegen Minderheiten und marginalisierte Gruppen vehementer versuchen, nationalistische und völkische Erklärungsmuster parlamentarisch durchzusetzen. Die universelle Idee der Gleichheit aller Menschen, wie sie u.a. in der Charta der Grundrechte der EU formuliert ist, wird in Frage gestellt werden. Die in dieser Legislatur erreichen sozialpolitischen Erfolge wie bspw. die Mindestlohnrichtlinie, das Kurzarbeitergeld „SURE“ während der Pandemie, die Lohntransparenzrichtlinie, also den Abbau des geschlechtsspezifischen Lohngefälles, wird es nicht mehr geben. Ebenso werden Verbesserungen in den Bereichen Menschenrechte im Allgemeinen und LGBTIQ-Rechte und Frauenrechte nicht fortgeführt, wenn nicht gar bekämpft.
Ein Hoffnungsschimmer ist die Tatsache, dass sich die Parteien der Extremen Rechten oft uneins sind. Und nicht zuletzt haben wir alle es in der Hand. Die Demonstrationen nach dem Geheimtreffen von Potsdam haben es gezeigt: Wir haben das Potential zur politischen Veränderung. Dafür ist allerdings dringend mehr Engagement von Nöten!
Text: Dr. Sonja Grabowsky
Bild: Francesco Benvenuti