Kommentar zur EU-Osterweiterung
Zur EU-Osterweiterung, insbesondere im Bezug auf Ukraine Moldawien und Georgien, durfte ich beim Förderverein Zeche Altstaden einen Impulsvortrag halten.
Die Europäische Kommission hat ihre Erweiterungspolitik zuletzt forciert, obwohl die genannten Länder bekanntermaßen Schwierigkeiten haben, die Aufnahmekriterien zu erfüllen. Das lässt sich vor allem durch geostrategische Motive der Kommission erklären. Dieser geopolitische Druck steht zuweilen in einem Spannungsverhältnis zu den Kopenhagener Kriterien, die die Beitrittsstaaten erfüllen müssen. Sie umfassen die institutionelle Stabilität, die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung sowie die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. Schon jetzt haben wir innerhalb der EU mit Ungarn und Polen Staaten, die es mit Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechten nicht so ernst nehmen.
Deshalb sind Reformen notwendig, um die EU handlungsfähiger zu machen, bevor sie weitere Mitglieder aufnimmt. Das gilt besonders für die Fiskalpolitik der EU, außerdem muss das Europäische Parlament ein Initiativrecht für Gesetzesvorschläge bekommen und das Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik überwunden werden.
Die Ukraine und Moldawien haben bereits den EU-Kandidatenstatus erhalten. Georgien wurde er in Aussicht gestellt. Welche Perspektiven gibt es in den einzelnen Verfahren?
🇺🇦Die Ukraine hat zuletzt unter Beweis gestellt, dass sie auch in Kriegszeiten in der Lage ist, Fortschritte auf ihrem Weg in die EU zu erzielen. Den größten Nachholbedarf gibt es bei der Bekämpfung von Korruption. Zuletzt verzeichnete die Ukraine mit Korruptionsermittlungen und -Verurteilungen auf hoher Ebene sowie einem gestärkten institutionellen Rahmen eine wachsende Erfolgsbilanz in diesem Bereich. Der Beitritt wäre zudem mit gravierenden Veränderungen in der EU verbunden, besonders im fiskalen Bereich. So müssten alle heutigen Mitgliedstaaten, bleibt der aktuelle Finanzrahmen erhalten, ihre Zahlungen in den EU-Haushalt deutlich erhöhen. Zugleich würden die Mittel aus der Gemeinsamen Agrarpolitik für die jetzigen EU-Staaten um ein Fünftel gesenkt, während ein Achtel des gesamten EU-Budgets – rund 186 Milliarden Euro – an Kiew gingen. Ferner ist ein Beitritt der Ukraine, solange der russische Angriffskrieg andauert, ausgeschlossen.
🇲🇩Auch Moldavien hat wichtige Fortschritte erzielt. Es hat z.B. eine umfassende Justizreform begonnen und die Ermittlungen und Verurteilungen in Korruptionsfällen haben zugenommen. Außerdem wurde die Beteiligung der Zivilgesellschaft an Entscheidungsprozessen verbessert und der Schutz der Menschenrechte gestärkt. Ein Aktionsplan zur De-Oligarchisierung mit festen Fristen wurde eingeführt und eine Strategie für die öffentliche Verwaltung mit Reformen auf allen Ebenen entwickelt.
🇬🇪Georgien hat insbesondere Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter, zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und zur Berücksichtigung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte erlassen. Eine ganzheitliche Reform des Hohen Justizrates ist aber erforderlich und steht noch aus.
Ökonomisch, politisch und sozial gesehen bringt eine EU-Erweiterung verschiedene Perspektiven mit, die beachtet werden müssen.
Ökonomisch zeigt das Beispiel Ukraine, dass es massive fiskale Veränderungen gäbe. Bisherige Nettoempfänger*innen von EU-Subventionen im Agrarbereich wie Polen, Rumänien, Ungarn oder Griechenland ,würden durch einen Beitritt der Ukraine stark an Subventionen einbüßen oder die Beitragszahlungen der EU insgesamt müssten stark erhöht werden. Das ist eine Quelle für Unmut.
Politisch gesehen kann die EU durch eine höhere Mitgliederzahl an weltpolitischem Gewicht dazugewinnen und sich von anderen globalen Playern unabhängiger machen. Zudem ist die EU immer schon eine Friedensunion gewesen. Noch nie gab es Krieg zwischen EU-Mitgliedstaaten. Zur Stärkung des Friedens sollte die EU-Erweiterungspolitik weiter vorangetrieben werden. Wichtig ist, dass es Reformen gibt, die die Handlungsfähigkeit der EU auch bei einer Erweiterung erhalten und weiter verstärken.
In der Zivilgesellschaft in allen drei Staaten gibt es eine breite Unterstützung für die Europäische Union. Im Sinne einer menschenrechtsbasierten Außenpolitik ist es zentral, sie zu stützen und ihr eine ernsthafte Perspektive in der EU zu eröffnen. Die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien trägt maßgeblich dazu bei.
Ausführliche Informationen zu den Fortschritten aller (potentiellen) Beitrittsstaaten gibt es hier: https://germany.representation.ec.europa.eu/news/eu-beitritt-kommission-fur-verhandlungen-mit-ukraine-und-moldau-2023-11-08_de