Ausscheiden aus dem Europäischen Parlament zum 16. Juli 2024

Mein Brief zu meinem Ausscheiden aus dem Europaparlament an die Geschäftsführenden, Vorsitzenden und Europabeauftragten meiner Betreuungsregion der SPD Unterbezirke Bochum, Borken, Bottrop, Coesfeld, Dortmund, Ennepe-Ruhr, Gelsenkirchen, Hamm, Herne, Münster, Steinfurt, Unna sowie der SPD-Kreisverbände Recklinghausen und Warendorf.

 

Wetter, 12.07.2024

Liebe Genossinnen und Genossen,

wie Ihr wisst, werde ich nach 10 Jahren am 16.7. aus dem Europäischen Parlament ausscheiden. Nach dieser Dekade hatte ich mich dazu entschieden, nicht erneut für das Europäische Parlament zu kandidieren. Mit 67 Jahren will ich mich neuen Herausforderungen in der nachberuflichen Lebensphase, wie es so schön in der Alternsforschung heißt, stellen.

Ich möchte mich bei Euch für die gute Zusammenarbeit bedanken.

Diese 10 Jahre waren die politisch intensivste Zeit meines Lebens. Als Mitglied im Innenausschuss, später im Außenausschuss und im Unterausschuss für Menschenrechte habe ich mich mit vielen Themen befasst. Um nur einige wenige zu nennen: das Urheberrecht in der digitalen Welt, der Schutz von Hinweisgebern, Freihandelsabkommen, Flucht und Migration, die Unterstützung von Menschenrechtsaktivist*innen unter anderem im Iran und in Afghanistan, die EU-Erweiterungspolitik mit Schwerpunkt auf Bosnien-Herzegowina, das Massaker der Terrorgruppe Hamas an Israelis am 7. Oktober und der daran anschließende Krieg in Gaza, der Kampf gegen Antisemitismus und vieles mehr. In den letzten Jahren war ein Schwerpunktthema meiner Arbeit der Krieg in der Ukraine.

Im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine müssen wir die Menschen humanitär, ökonomisch, politisch und finanziell unterstützen, ja auch militärisch, damit die Ukraine sich verteidigen kann. Es ist gut, wenn russische Raketen durch westliche Waffensysteme abgefangen werden. Sonst zerstören sie Menschenleben, zivile Einrichtungen wie die Energieversorgung und Kinderkrankenhäuser, wie zuletzt geschehen. Das ist ein Kriegsverbrechen, eine weitere schreckliche Eskalation in einem Krieg, der so schnell wie möglich beendet werden muss. Allerdings müssen die Entscheidungen über Waffenlieferungen immer gut abgewogen und abgestimmt werden, um nicht in den Krieg hineingezogen zu werden. Dieser Krieg wird gegen die Atomwaffenmacht Russland nicht militärisch entschieden. Es muss endlich mehr Gewicht auf die Diplomatie gelegt werden, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Hier war die EU mit ihrer Kommissionspräsidentin weitgehend untätig. Dieser Krieg besitzt unvorstellbares Eskalationspotenzial, an dessen Ende ein großer Krieg in Europa stehen kann. Das muss verhindert werden. Daher ist die Forderung von Rolf Mützenich nach einem Einfrieren des Kriegs vollkommen richtig. Es geht darum,den Frieden zu gewinnen.

Ein anderer wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit war das Engagement für eine menschenrechtsfundierte Flüchtlingspolitik. Die Lage für Geflüchtete und Migrant*innen an den EU-Außengrenzen ist durch massive Grundrechtsverletzungen gekennzeichnet. In Flüchtlingszentren u.a. an der Grenze von Kroatien und Bosnien-Herzegowina und auf Malta habe ich mir vor Ort ein Bild über die schreckliche Lage von geflüchteten Menschen gemacht, die vor Kriegen, politischer Verfolgung, Not und Elend flohen. Viele Kinder, Frauen und Männer kommen auf ihrem Fluchtweg nach wie vor um und viele Tausende ertrinken im Mittelmeer. Dies nehmen die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten überwiegend bewusst hin. Sie zerstören damit die Grundlage der EU, die auf grundlegenden Werten aufgebaut ist, die in der Grundrechtecharta verankert sind.

Wer glaubt, Flüchtlinge und Migrant*innen sobehandeln zu müssen, wie es die Rechtsextremen zum Beispiel mit ihren Deportationsplänen vorsehen, darf sich nicht wundern eines Tages in einem anderen Europa aufzuwachen, in dem Menschenwürde, Solidarität und Empathie sowie Demokratie und Freiheit nicht mehr zählen.

Die EU ist die einzige Chance, die globalen Herausforderungen humanitär zu gestalten. Der aufkommende rechtsextreme Nationalismus muss gestoppt werden, weil sich sonst die Nationen in der EU wieder stärker gegeneinander positionieren.

Die letzten Wahlergebnisse in Polen, ebenso die Siege der linken progressiven Kräfte im Vereinigten Königreich und in Frankreich zeigen, dass eine andere Entwicklung möglich ist.

Hier kommen auf die SPD große Aufgaben zu: Die EU muss zu einer Schutzmacht der Beschäftigten, der berufstätigen Familien, der Vielen in diesen gefährlichen Zeiten werden. Der Staat hat die dringend nötigen Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge zu realisieren. Dabei bedarf es stärkerer politscher Regulierungen der Märkte in jenen Bereichen, die die Menschen für ein gutes Leben brauchen. Dazu gehören insbesondere Gesundheit, Bildung und Wissenschaft, Wohnen, Mobilität, Stadtentwicklung, der ökologische Umbau und anderes.

Ich danke der Partei, dass ich das Vertrauen erhielt, 10 Jahre im Europäischen Parlament zu arbeiten. Der Kontakt zu meiner Betreuungsregion war mir wichtig: So gab es unter anderem 38 Ausgaben des Europatelegramms, die Treffen zum „Politischen Frühstück“ mit den UB-Vorsitzenden und UB-Geschäftsführer*innen und die alljährlichen Filmvorführungen zu dem Thema „Flucht und Migration“.

Die Wertschätzung, die ich in den letzten Monaten an vielen Stellen bei Veranstaltungen in der Betreuungsregion erfahren habe, verdanke ich einem großartigen Team. In Brüssel waren das meine wissenschaftliche Begleiterin Sonja und die Leiterin des Büros im Europäischen Parlament, Arzu, im Europabüro in Wetter, Ulla, als Büroleiterin für die Betreuungsregion und Kathrin, die zuverlässig Verwaltungsaufgaben übernahm sowie Elias, der in den letzten Monaten die sozialen Medien kreativ gestaltete.

Ich bin der festen Überzeugung, dass es der Partei gelingen muss, die europäischen Dimensionen aller Politikebenen kontinuierlich in den Blick zu nehmen.

Dafür werde ich mich weiterhin – auch ohne Mandat als Europaabgeordneter – in der Partei u.a. als Landesvorstandsmitglied und in zivilgesellschaftlichen Organisationen engagieren. Für Diskussionen und Veranstaltungen zum Thema EU stehe ich weiterhin gerne bereit!

Für ein Europa der Solidarität!

Mit sozialistischen Grüßen

Unterschrift des scheidenden Europaabgeordneten Dietmar Köster

Dietmar Köster

Der Brief wurde am 12. Juli 2024 per E-Mail an die entsprechenden Personen gesendet. Das Original gibt es hier als PDF zum Download.