Die Demokratische Jugendbewegung Vesna
Month: November 2022
Ein Gastbeitrag von Milana Shesterikova
Im Rahmen der von Dietmar gegründeten interfraktionellen Migrationsgruppe im Europäischen Parlament war im vergangenen Oktober Milana Shesterikova von der oppositionellen russischen Vesna-Bewegung zu Gast. Die Aktivistin hat sich bereit erklärt, mit einem Gastbeitrag Einblicke in ihre Arbeit zu geben.
Vesna ist eine demokratische Jugendbewegung, die mehr als hundert junge Liberale, Demokrat*innen und Menschenrechtsaktivist*innen verbindet. Sie wurde 2013 in St. Petersburg gegründet. Seitdem sind Regionalabteilungen in Moskau, Nowosibirsk, Tscheljabinsk und vielen weiteren Städten tätig. Aktivist*innen, die im Ausland leben, sind innerhalb der Diaspora mit Vesna verbunden. Unsere Bewegung kämpft für ein demokratisches Russland, in dem Menschenrechte und Freiheiten die grundlegenden gesellschaftlichen Werte sind.
Die Vesna-Aktivist*innen waren die ersten politischen Treiber*innen einer Antikriegskampagne unmittelbar nach Beginn der Invasion Russlands am 24. Februar 2022. Seitdem haben wir zahlreiche Dinge auf den Weg gebracht:
- Massenproteste gegen den Krieg koordiniert;
- Medienarbeit gestartet und eine Agitationskampagne in den sozialen Netzwerken der Bewegung durchgeführt;
- Antikriegspetitionen erstellt, offene Appelle und Briefe an die Behörden, die Polizei, das Militär, die Patriarchen etc. veröffentlicht;
- Antikriegspropaganda gemacht und Aufkleber, Flugblätter und Plakate gegen den Krieg verteilt;
- An der Schaffung einer Antikriegskoalition basisdemokratischer Bewegungen in Russland gearbeitet (u.a. „Feministischer Antikriegswiderstand“, „Students Against War“);
- Eine Plattform zur Vernetzung demokratischer europäischer Diaspora-Aktivist*innen entwickelt
Als Reaktion auf Vesnas Arbeit führte die Polizei bei einigen Aktivist*innen Razzien durch. Sie wurden anschließend strafrechtlich verfolgt. Und im September reichte die Staatsanwaltschaft in St. Petersburg Klage ein, mit dem Ziel, die Bewegung als „extremistische Organisation“ einzustufen.
Trotz aller Verfolgungen und politischer Repressionen, denen wir ausgesetzt sind, wollen wir unsere Arbeit keinesfalls einstellen. Wir werden weiterhin die Werte der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verteidigen und verbreiten.
Text: Milana Shesterikova, Aktivistin für Vesna im moskauer Büro und Studentin an der Moskauer Schule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.
The Game - Spiel zwischen Leben und Tod
Month: November 2022
Ein Gastbeitrag von Lisa Storck
„Keiner von uns würde sein Haustier in so einem Zustand Leben lassen“. Zehida ist Flüchtlingshelferin in Bosnien und Herzegowina, nahe der Grenze zum EU-Mitgliedsstaat Kroatien. Tausende Menschen stranden hier auf ihrer Flucht in die EU. Was die kroatischen Behörden illegalen Grenzübertritt nennen, nennen die Flüchtenden ‚The Game‘ – Ein Spiel zwischen Leben und Tod. Fast alle hausen unter menschenunwürdigen Bedingungen: in leerstehenden maroden Häusern, alten Trümmern oder unter Planen im Wald. Es fehlt am Allernötigsten und vor allem an einer Perspektive.
Im März 2020 gründeten Bernd Karmann und Manuela Federl den Verein Lautlos e. V., um einen Hilfstransport für die bosnische NGO SOS Bihac zu organisieren. Da ahnen sie noch nicht das Ausmaß der Lage. Eindrucksvoll halten sie in ihrem Dokumentarfilm die schlimmen Zustände an der Grenze fest.
Sie begleiten die Flüchtenden und lernen Helfer*innen wie Zehida kennen. Sie interviewen Menschenschmuggler und Anwohner*innen. Dabei halten sie fest: „Die Menschen haben kaum etwas zu essen, sie schlafen in Ruinen und viele haben Krätze und Wunden, die nie heilen konnten. Alle, die nicht mit den Flüchtenden Gewinn machen, demonstrieren gegen sie. Bosnische und ausländische Helfer*innen bewegen sich in dem Chaos zwischen diesen Spielern.“
Im November lud Dietmar Manuela und Bernd in die Schauburg nach Dortmund zur Filmvorstellung ein. In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurden die Verurteilung der Menschenrechtsverstöße und die politische Forderung nach einer Migrationspolitik, die die Schwächsten unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt stellt, deutlich. Denn als Manuela und Bernd Dietmar Anfang Januar zum ersten Mal kontaktierten, fassten sie vollkommen richtig zusammen: „Der Film untersucht die humanitäre Krise an der EU-Außengrenze: nur 600 Kilometer entfernt von uns. Und er zeigt unerbittlich, was es heißt, wenn ein Menschenleben nichts wert ist.“
Alle Informationen und die Möglichkeit zu spenden gibt es unter www.lautlos-verein.org.
Foto: Kristof Huf
LGBTQI+ und Flucht - Ein Kampf um Anerkennung und Sicherheit
Month: November 2022
Ein Gastbeitrag von Ruth Berkowitz
Weltweit werden queere Menschen diskriminiert und unterdrückt. Allein in 69 Staaten werden sie strafrechtlich verfolgt und in 11 Ländern werden Todesstrafen gegen sie verhängt. Für die, die sich entscheiden zu fliehen, gehen der Kampf um Anerkennung und der Wunsch nach Sicherheit im Ankunftsland weiter. Eine fehlende Sensibilisierung bei der Zuordnung in Gemeinschaftsunterkünfte führt dazu, dass diese oft kein sicherer Ort für sie sind. Stigmatisierung, Anfeindung und nicht zuletzt körperliche Angriffe, denen sie schon in ihren Heimatländern ausgesetzt waren, sind auch in den Unterkünften traurige Realität. Besonders hervorzuheben ist dabei die Situation von Trans*Personen. Meist werden sie auf Grundlage des ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlechts registriert und auch die Aufnahme oder Weiterführung einer Geschlechtsanpassung wird unmöglich gemacht. Oft werden sie körperlich attackiert, was zusätzlich belastend ist.
Doch nicht nur die Situation in den Unterkünften stellt ein Problem dar. So müssen queere Flüchtende, um rechtliche Anerkennung zu finden, ‚glaubhaft‘ ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität vermitteln, was ihnen dann nur allzu oft von den Behörden abgesprochen wird. Ein positives Signal gibt es allerdings: Im September schaffte die Ampelregierung Abschiebungen unter dem bislang genutzten Vorwand, ein „diskretes Leben im Herkunftsland“ sei möglich, ab.
Ein weiteres Problem bleibt aber die Einstufung von „sicheren Herkunftsländern“. Die Bundesregierung sieht viele Länder als sicher an, in denen queeren Menschen Verfolgung und Bestrafung drohen. Sie werden abgeschoben. All dies zeigt, dass es zahlreiche Missstände im Umgang mit queeren Geflüchteten gibt. Diese Ungerechtigkeit muss bekämpft werden, um endlich geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anzuerkennen und den Betroffenen eine sichere Zukunft in der EU zu ermöglichen.
Text: Ruth Berkowitz
Zwischen Eskalationsgefahren und Hoffnung auf Verhandlungen
Month: November 2022
Am Abend des 15. November stockte vielen Menschen der Atem. Die Medien meldeten Explosionen in der polnischen Grenzregion zur Ukraine. Wer vermutete – oder besser: befürchtete – nicht, dass es sich hier um eine russische Rakete handelte? Es drohte eine weitere Eskalation in diesem grauenhaften Krieg. Artikel 4 und 5 des NATO-Vertrags wurden diskutiert. Letzterer beinhaltet die Beistandsklausel, der die NATO in den Krieg geführt hätte. Wahrscheinlich war die Welt nie näher an einem neuen Weltkrieg seit der Kubakrise von 1962. Der österreichische Standard schrieb schon: Wir müssen uns auf einen Krieg einstellen. Für das ZDF war schnell klar: Polen bestätigt Einschlag russischer Raketen. Das nahm u.a. die Ober-Bellizistin und Waffenlobbyistin Strack-Zimmermann von der FDP ungeprüft zum Anlass, zu behaupten, dass es sinnlos wäre, überhaupt über Verhandlungen nachzudenken. Das Ganze war ein Versagen aller Medien, die bezüglich des hochbrisanten Themas Frieden und Krieg nicht abgesicherte Meldungen verbreiteten.
Anders ist die eher besonnene Reaktion der NATO und der polnischen Regierung zu bewerten. Sie hielten sich zunächst zurück und stellten schnell klar, dass es sich nicht um einen Angriff Russlands auf Polen, sondern um eine fehlgeleitete ukrainische Luftabwehrrakete handelte. Selensky stellte das als Einziger infrage, denn er verfolgt das Interesse, die NATO als direkte Kriegspartei zu involvieren. Damit besteht das Risiko, dass alle Dämme brechen.
Der schwere Zwischenfall zeigt, wie groß die Eskalationsgefahr ist, in einen Weltkrieg hineinzurutschen. Das muss verhindert werden, koste es was es wolle. In den USA mehren sich die Stimmen, die auf eine politische Lösung drängen. So zuletzt Armeegeneral Mark Milley, der Chef der Joint Chiefs of Staff und der oberste US-Militäroffizier.
Die EU-Kommission jedoch ist hinsichtlich des Themas Diplomatie völlig blank. Kommissionspräsidentin von der Leyen setzt darauf, die Entscheidung auf dem Schlachtfeld zu suchen. Das wird einer EU, die mal den Friedensnobelpreis erhalten hat, nicht gerecht. Zumal Europa in einem Weltkrieg als erstes zerstört würde.
Die Solidarität mit den Menschen in der Ukraine bleibt unverzichtbar. Die barbarischen Angriffe der russischen Armee mittels Raketen und Drohnen auf die zivile Infrastruktur ist schärfstens zu verurteilen. Die Ukrainer*innen brauchen alle Unterstützung, um durch den Winter zu kommen. Wenn Wasser- und Stromversorgung zerstört sind, geht es um das nackte Überleben. Zivile und ökonomische Hilfe sind geboten, wie auch die Lieferung von Flugabwehrraketen.
Es ist schwer nachzuvollziehen, dass ukrainische Behörden den SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich auf eine Liste von „Informationsterroristen“ gesetzt haben, zusammen u.a. mit den Politikwissenschaftlern Johannes Varwick und Christian Hacke. Sie sollen als „Kriegsverbrecher“ vor Gericht landen. Das ist hinsichtlich der Tatsache, dass die SPD-geführte Regierung der Ukraine Ausrüstung, Geld und Waffen liefert und eine Million ukrainische Flüchtlinge in Deutschland versorgt, schwer erträglich.
Nur die Diplomatie kann wichtige Fortschritte erzielen. Das zeigen beispielsweise das auf Vermittlung der Vereinten Nationen am 19. November verlängerte Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland, die Gefangenenaustausche oder die Bemühungen der Vereinten Nationen, um das Atomkraftwerk Saporischschja eine demilitarisierte Zone zu schaffen.
Wer nur auf Waffen setzt, wird die Welt in den Abgrund führen. Wer auf Diplomatie setzt, schafft die Grundlage für Frieden. Die Waffen müssen endlich schweigen!
Text: Prof. Dr. Dietmar Köster