Statement zur jüngsten Entscheidung des SPD-Präsidiums

Statement zur jüngsten Entscheidung des SPD-Präsidiums

Das SPD-Präsidium hat sich am Montagabend im Rahmen einer Videoschalte dazu entschieden, die geplante Stationierung von US-amerikanischen Mittelstreckenraketen in 2026 zu befürworten. (Pressemitteilung)

Was ist mit den Kindern, die morgen geboren werden?

Mit diesem Beschluss hat die SPD-Spitze eine Entscheidung getroffen, die die Partei davon entfernt, Friedenspartei zu sein, trotz des Wortgeklingels im Beschluss. So sollen die Raketen dafür sorgen, dass „kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muss“. Was ist mit den Kindern, die morgen geboren werden? Diese Entscheidung wird ohne große innerparteiliche Debatte getroffen. Die Oberstrateg*innen des Präsidiums meinen dann wohl auch noch, eine so weitreichende Frage wie Krieg und Frieden in der Sommerpause in der Hoffnung zu befassen, dass der Protest aus dem Urlaub ausfällt.

Wir brauchen eine Mitgliederbefragung!

Mit dem Beschluss des Präsidiums wird die Kernidentität der SPD infrage gestellt, die Partei für Frieden und Abrüstung zu sein. Wenn die SPD jetzt in der politischen Praxis nur noch auf Rüstung, Abschreckung und „Kriegstauglichkeit“ setzt und für den Frieden nur noch ein paar Phrasen übrig hat, wird sie einen weiteren Bedeutungsverlust hinnehmen müssen. Daher müssen die Mitglieder entscheiden. Wir brauchen eine Mitgliederbefragung über die geplante Stationierung der Mittelstreckenraketen.

Der Bundeskanzler hat sich zu dieser Entscheidung noch nicht mal die Mühe gemacht, sie in einen größeren Begründungskontext zu stellen. Er behauptet einfach, das sei aus Abschreckungsgründen gegen Russland geboten. Dieses Mal gab es nicht nur eine schwache Kommunikation, jetzt gibt es gar keine mehr und es wird einfach entschieden. Bastapolitik in Reinkultur.

Gibt es wirklich eine Abschreckungslücke, wie die Befürworter*innen der Mittelstreckenraketen behaupten?

Zur Erinnerung: 2019 kündigten die USA mit Trump den INF-Vertrag aus dem Jahr 1987, der alle bodengestützten Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern verbot. Gegen diesen Vertrag soll Russland verstoßen haben, das neben einer Vielzahl an luft- und seegestützten Systemen selbst bereits landgestützte Mittelstreckenwaffen stationiert hat. Russland bestreitet, dass der genannte Marschflugkörper eine Reichweite von mehr als 500 Kilometer besitzt und damit gegen den INF-Vertrag verstoße. Präsident Putin schlug nach Auflösung des INF-Vertrags 2019 und 2020 ein neues Moratorium für landgestützte Mittelstreckenraketen vor. So einigten sich beide Seiten auf Inspektionen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine beendete dieses Vorhaben[^1]

Dennoch gibt es keine Abschreckungslücke, denn mit see- und luftgestützten Mittelstreckenwaffen besitzt die NATO schon jetzt ein Übergewicht an Gegenmaßnahmen gegenüber den russischen Waffensystemen. So jedenfalls Oberst a.D. Wolfgang Richter in einem Konzeptpapier der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).[^2]

Andere Gründe sind zu nennen: Die geplante Stationierung der Mittelstreckenraketen hat für die USA strategische Bedeutung: Mit diesen Raketen wird die atomare Zweitschlagfähigkeit Russlands gefährdet. So können russische Stellungen aus Deutschland angegriffen werden, ohne dass Russland wissen kann, ob diese Raketen nuklear bestückt sind. Umgekehrt verfügt Russland nicht über die Fähigkeit mit Mittelstreckenwaffen die USA anzugreifen. Klar ist, dass die US-amerikanischen Stationierungsorte in Deutschland primäres Ziel von russischen Angriffen werden. So führt die Stationierung der Mittelstreckenraketen zu einer Störung des atomaren Gleichgewichts. Es ist zu bezweifeln, ob ein möglicher Präsident Trump in irgendeiner Weise bei einer zugespitzten Konfrontation des Westens gegenüber Russland die Überlebensinteressen der europäischen Bürger*innen im Blick bei der Frage hat, ob die Mittelstreckenraketen von deutschem Boden gegen Russland eingesetzt werden sollen. Es ist unverantwortlich, einem möglichen kommenden Präsidenten Trump die Entscheidung zu überlassen, Russland mit den neuen Mittelstreckenraketen anzugreifen.

Auch die Behauptung im Beschluss des Präsidiums, mit der Stationierung sei keine verschärfte Konfrontation mit Russland beabsichtigt, hält einer genaueren Betrachtung nicht Stand. So schreibt Oberst a.D. Richter in seiner FES-Studie: Die Stationierung „verschärft somit vorbehaltlos die Konfrontation zwischen Russland und der NATO. Sie trägt auch dazu bei, Moskaus Motiven für die Fortsetzung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine neue Nahrung zu geben. Denn seit langem richtet sich sein Sicherheitsinteresse darauf, die NATO auf Abstand zu halten und eine Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenwaffen in seiner geographischen Nähe zu verhindern“[^2]

Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob unser dicht besiedeltes Land zum Ziel eines atomaren Erstschlags werden könnte.

Des Weiteren heißt es im Präsidiumsbeschluss, dass die Stationierung der Mittelstreckenraketen eine Antwort auf den russischen Angriff gegen die Ukraine sei. Auch das überzeugt nicht. In den USA wurden Vorbereitungen für die Stationierung schon im Jahr 2021 getroffen, so Richter.

Rolf Mützenich warnte eindringlich davor, die Gefahren einer Stationierung von Langstreckensystemen mitten in Europa zu unterschätzen. Es geht um nicht weniger als um die Frage, ob unser dicht besiedeltes Land zum Ziel eines atomaren Erstschlags werden könnte. Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation aufgrund der kürzer werdenden Vorwarnzeiten ist groß. Sie beträgt nur noch 10 bis 15 Minuten[^3]. Da ist es fast unmöglich zu einer realistischen Einschätzung zu kommen, ob es sich hier um einen Fehlalarm handelt oder ein atomarer Zweitschlag auszuüben ist.  Außerdem sollen die Raketen nur in Deutschland stationiert werden. Damit wird in Europa Deutschland zum alleinigen Ziel möglicher russischer – auch atomarer – Gegenschläge [^4]

Dieser Beschluss wird auch weitreichende Auswirkungen auf das Wettrüsten haben. So gibt es mit dem Auslaufen des START-Vertrags im Jahr 2026 keine verbindlichen Begrenzungen für strategische Nuklearwaffen mehr. Dies öffnet die Tore für ein neues atomares Wettrüsten und verschärft die globale Instabilität.

Die Stationierung der Mittelstreckenraketen muss verhindert werden!

Der Bundeskanzler hätte stattdessen ein gegenseitiges Moratorium bei der Stationierung von landgestützten Mittelstreckenraketen in Europa ins Gespräch bringen können.

Die Stationierung der Mittelstreckenraketen muss verhindert werden. Es ist nun Aufgabe innerhalb der SPD dafür die richtigen Beschlüsse zu fassen. Der Beschluss des SPD-Präsidiums darf nicht unwidersprochen bleiben.

 

Prof. Dr. Dietmar Köster, Dortmund, 14.8.2024

 

Quellen

[^1] Graef, Alexander/ Thies, Tim / Mengelkamp, Lukas (2024): Alles nur Routine? https://www.ipg-journal.de/rubriken/aussen-und-sicherheitspolitik/artikel/alles-nur-routine-7655/?utm_campaign=de_40_20240716&utm_medium=email&utm_source=newsletter (17.7.2024)*

[^2] Richter, Wolfgang (2024): Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. FES-Studie: https://library.fes.de/pdf-files/bueros/wien/21371.pdf (14.8.2024)*

[^3] Mika, B. (2024, August 11). „Es geht um konventionelle Waffen zur Abschreckung“. Frankfurter Rundschau. https://www.fr.de/politik/es-geht-um-konventionelle-waffen-zur-abschreckung-93236580.html*

[^4] Beucker, P. (2024, July 21). Stationierung von Mittelstreckenwaffen: Rolf Mützenich ist nicht begeistert. TAZ Verlags- Und Vertriebs GmbH. https://taz.de/Stationierung-von-Mittelstreckenwaffen/!6024780/*

Beitragsbild: Rosa Luxemburg Stiftung

 

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