10 Punkte zum Krieg im Nahen Osten

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Stand: 23. November 2023

1 Wir können darauf hoffen, dass Geiseln freigelassen und eine Feuerpause für einige Tage erreicht werden kann. Als nächstes müssen die restlichen Geiseln freigelassen werden.

Die Terroristen der Hamas haben diesen Krieg begonnen, indem sie vorsätzlich und gezielt Gräueltaten begangen haben. Sie töteten Kinder, Frauen und ältere Menschen, die sterben mussten, weil sie Jüd*innen waren. Wenn man all diese grausamen Verbrechen sieht ist klar, mit welchem Ausmaß hier Hass geschürt worden ist und immer noch wird.

3 Es besteht kein Zweifel daran, dass das humanitäre Völkerrecht die Unterbrechung der Wasser-, Nahrungsmittel- und Stromversorgung verbietet. Die Aussagen der rechtsextremen Kräfte in der israelischen Regierung sind inakzeptabel. Israel hat das Recht auf Selbstverteidigung, aber die militärischen Maßnahmen  müssen verhältnismäßig sein.

Die internationale Gemeinschaft muss dafür sorgen, dass sich Terroranschläge wie dieser nicht wiederholen und die Sicherheit Israels gewahrt bleibt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Israel nicht nur von der Hamas angegriffen wird. Es gibt noch mehr Bedrohungen: Hisbollah, der Iran, Houthis im Jemen etc.

5 Die Verantwortlichen für diesen Terroranschlag müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Hamas-Vertreter betonen, dass sie ihre terroristischen Aktionen wiederholen würden. Wenn wir einen langfristigen Waffenstillstand fordern, stellt sich die Frage: Wer garantiert die Sicherheit Israels? 

6 Israel darf nicht dämonisiert werden, das delegitimiert den Staat. Israels Existenzrecht kann niemals in Frage gestellt werden.

7 Die Zukunft von Gaza ist nur ohne Hamas denkbar. Zudem muss Gaza entmilitarisiert werden, damit sich das Massaker vom 7. Oktober nie wiederholen kann.

8 Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die UN und die EU, hat zu wenig getan, um eine friedliche Zweistaatenlösung zu schaffen. Es gab zahlreiche UN-Verurteilungen der israelischen Siedlungspolitik, aber nur wenige Initiativen verurteilten und konzentrierten sich auf die Aktivitäten der Hamas im Vorfeld dieses Terroranschlags. Die vorherrschende Meinung in der internationalen Politik war, dass man mit dem Konflikt irgendwie umgehen müsse und es keine Lösung gebe. Das war ein grundlegender Fehler.

9 Die Palästinenser*innen müssen ihre eigene demokratische Regierung unter internationaler Kontrolle selbst bestimmen/aufbauen, damit eine Zweistaatenlösung mit Frieden und Wohlstand für alle erreicht werden kann.

10 Jüdisches Leben muss in der EU geschützt werden. Antisemitismus muss bekämpft werden.

 

Text: Prof. Dr. Dietmar Köster


Die Waffen müssen schweigen

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Gemeinsam mit den beiden Bundestagsabgeordneten Jan Dieren, Jens Peick und dem Europaabgeordneten Joachim Schuster habe ich den Aufruf „Die Waffen müssen schweigen!“ geschrieben. Der Aufruf hat weite Resonanz gefunden und ist ein politischer Faktor in der Debatte über die Meinungshoheit im Ukrainekrieg geworden.

Im Vordergrund des Aufrufs steht die Forderung an die Regierungen des Westens, statt zuvörderst auf Waffenlieferungen zu setzen, der Diplomatie ein größeres Gewicht zu geben, um endlich zu einem Waffenstillstand zu kommen. Die zentrale Botschaft lautet: Die Logik des Militärischen führt in den Abgrund. Die Logik der Diplomatie eröffnet die Chance auf Frieden. Zwischenzeitlich haben sich zu den Erstunterzeichner*innen unter anderem Prof. Dr. Christoph Zöpel (Staatsminister im Auswärtigen Amt a.D.), der Demografieforscher Prof. Gerd Bosbach und Reinhard Todt (Präsident des österreichischen Bundesrats a.D.) gesellt.

Mittlerweile ist der Krieg vorangeschritten. Die Ukraine hat wichtige militärische Erfolge im Nordosten des Landes erzielt und mehrere Städte und Dörfer von den russischen Besatzern befreit (Stand: 16.09.2022). Dabei wurden erneut Gräber mit Zivilist*innen gefunden, die vermutlich dem grausamen Angriffskrieg Russlands zum Opfer fielen. Dies muss unabhängig untersucht werden, um zu prüfen, ob es sich hier um Kriegsverbrechen handelt.

Die russische Regierung muss endlich begreifen, dass sie diesen Krieg nicht gewinnen kann. Sie hat offensichtlich ihre Kriegsziele verfehlt. Allerdings steht auch die Ukraine nicht vor einem militärischen Sieg. Die Geländegewinne der ukrainischen Armee sind kein Wendepunkt in diesem Krieg. Trotz der erfreulichen Siege der ukrainischen Regierung hat Russland nach wie vor die Eskalationsdominanz. Risiken für die Ukraine bestehen zum Beispiel darin, dass die russische Regierung Angriffe auf die Infrastruktur, Wasserversorgung, Energieversorgung etc. ausübt.

Der Westen will nicht in den Krieg hineingezogen werden. Daher schließt er z.B. eine Flugverbotszone aus oder deutsche Soldaten kämpfen nicht auf dem Territorium der Ukraine. Ebenso werden manche Waffengattungen wie Kampfpanzer und Kampfflugzeuge nicht geliefert. Die abwägende Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz ist in dieser Frage vollkommen richtig.

Die russische Regierung hat eine Teilmobilisierung ihrer Reservisten beschlossen und führt Pseudoreferenden über die Selbständigkeit von Regionen im Osten und im Süden der Ukraine durch. Hier droht eine weitere Eskalation des Kriegs, wenn die russische Regierung demnächst behauptet, dass ihr Territorium mit NATO-Waffen angegriffen wird. Ein weiterer Grund, so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand zu kommen. Gegen die Teilmobilisierung gibt es Widerstand in Russland. Die EU sollte all jenen Russen Asyl gewähen, die sich nicht als Soldaten in diesem Krieg zu Komplizen für den Bruch des Völkerrechts missbrauchen lassen wollen. Dazu ist ein Aufnahmeprogramm zu entwickeln.

Der Krieg ist vermutlich noch lange nicht zu Ende. Dennoch muss alles versucht werden, eine politische Lösung voranzutreiben. So sind Verhandlungen über einen Waffenstillstand und einen anschließenden Friedensvertrag auf allen Ebenen zu führen. Es ist ein großer Fehler, nur auf Waffengewalt und nicht auf Diplomatie zu setzen. Insbesondere Washington ist gemeinsam mit den anderen westlichen Staaten, den Vereinten Nationen und unabhängigen Staaten gefordert, endlich neue diplomatische Initiativen zu entwickeln. Wir müssen dem Frieden eine Chance geben.


Ein Kommentar zu feministischer Außenpolitik

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Ein Gastbeitrag von Lisa Storck

„Frieden in all seinen Aspekten ist jetzt eindeutig ein Frauenthema. Wenn es weniger Patriarchat gäbe, gäbe es wahrscheinlich weniger Gewalt“ behauptet die amerikanische Aktivistin Mary Farenthold 1915 auf dem ersten internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag. Während der Erste Weltkrieg in Europa wütet, finden sich auf dem Kongress mehr als tausend Frauen aus zwölf Nationen zusammen, um Forderungen aufzustellen.

Einige davon haben sich erfüllt, etwa die Einrichtung des Internationalen Gerichtshofes oder die Einstufung von Vergewaltigungen als Kriegswaffe. Bei der fundamentalsten Forderung nach Gleichstellung besteht leider nach wie vor Nachholbedarf.

Knapp hundert Jahre später formuliert deswegen die schwedische Außenministerin Margot Wallström 2014 Grundsätze einer feministischen Außenpolitik. Sie umfassen die drei Rs: Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Hinsichtlich dieser drei Punkte spielen Frauen weltweit eine untergeordnete Rolle. Feministische Außenpolitik fordert gleiche Rechte für Mädchen und Frauen ein. Das geht nur, wenn sie bei politischen Entscheidungen in repräsentativen Ämtern sind. Zudem muss bei der Verteilung von Ressourcen sichergestellt werden, dass die Lebensrealität von Mädchen und Frauen verbessert wird.

Übertragen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine fängt eine feministische Politik beispielsweise damit an, dass bei Hilfsgütern nicht nur Essen, sondern auch Güter für schwangere Frauen geliefert werden und hört damit auf, dass, sollte es so weit sein, Frauen an Friedensverhandlungen beteiligt werden. Längst ist der Zusammenhang zwischen der Beteiligung von Frauen an Verhandlungen und der Dauer von Friedensvereinbarungen nachgewiesen.

Die Ausgestaltung der feministischen Außenpolitik ist nicht in Stein gemeißelt, sondern wandelt sich ständig. Die drei Rs werden inzwischen um ein „D“ für Diversität ergänzt. Durch globale männliche Machtstrukturen geht nicht nur die Lebensrealität von Mädchen und Frauen unter, sondern werden auch diejenigen nicht mitgedacht, die auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit, ethnischen Herkunft oder sexuellen Ausrichtung strukturell diskriminiert werden.

Der Krieg in der Ukraine, die Pandemie und die wirtschaftliche Rezension sind ein herber Rückschlag für Feminist*innen, denn diese Faktoren verschärfen global die Lager derer, die ohnehin strukturell marginalisiert werden.

Eine laute feministische Außenpolitik ist deshalb bitter notwendig, um der vergessenen Hälfte der Gesellschaft eine Stimme zu geben. Das ist kein „Gedöns“, sondern schlicht demokratisch.


Ahmad Reza Jalali – seit 20 Monaten von unmittelbarer Hinrichtung bedroht

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Ein Gastbeitrag von Laura Pohl

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wurde 1972 in Frankfurt am Main gegründet. Sie unterstützt Andersdenkende und friedliche Bürgerrechtler*innen in autoritären Staaten und betreibt humanitäre Hilfe, bspw. in der Ukraine oder im Nordirak. Dietmar Köster setzt sich im Rahmen des Patenschaftsprogramms der IGFM für politische Gefangene für die Freilassung von Ahmad Reza Jalali ein.

Ahmad Reza Jalali wurde aufgrund angeblicher Spionage für den israelischen Geheimdienst während seines Besuchs im Iran im April 2016 verhaftet. Unter dem Vorwurf von „Verderben stiften auf Erden“ wurde Jalali im Oktober 2017 schließlich zu Tode verurteilt. Ein unter Folter entstandenes Geständnis wurde Ende 2017 im Staatsfernsehen ausgestrahlt.

In Haft wurde dem Akademiker dringende medizinische Behandlung verweigert, auch, als Anfang 2019 ein Verdacht auf Krebs bekannt wurde. Als die Islamische Republik im Zuge der Corona-Pandemie Tausende Häftlinge in den Haft»urlaub» schickte, wurden politische Gefangene – darunter auch Ahmad Reza Jalali – von dieser Regelung weitestgehend ausgeschlossen. Darüber hinaus wurde Jalali über Monate in Isolationshaft gehalten.

Am 25. November 2020 wurde der schwedisch-iranische Staatsbürger in Einzelhaft verlegt und ihm mitgeteilt, dass seine Hinrichtung bald vollstreckt werde. Nach dem großen internationalen Protest gegen seine bevorstehende Hinrichtung wurde das Urteil nicht vollstreckt. Nach sechs Monaten in Isolationshaft wurde Jalali erst am 14. April 2021 wieder in eine Zelle mit anderen Gefangenen verlegt.

Knapp ein Jahr später, am 4. Mai 2022 wurde erneut gedroht: Jalali solle spätestens am 21. Mai hingerichtet werden. Die Nachricht folgte kurz nachdem die schwedische Staatsanwaltschaft lebenslange Haft für den in Schweden angeklagten Iraner Hamid Noury forderte, der 1988 für Tausende Hinrichtungen politischer Gefangener im Iran verantwortlich gewesen sein soll. Die Androhung der Vollstreckung wird als politischer Racheakt der iranischen Behörden gewertet. Auch dieses Mal wurde das Urteil nicht vollzogen. In Sicherheit ist Jalali damit aber nicht. Sein Leben hängt nach wie vor in der Schwebe.


Keine Geflüchteten zweiter Klasse - ein Gastbeitrag von Paula Schmedding

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Ein Gastbeitrag von Paula Schmedding

Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Viele Ukrainer*innen verlassen ihre Heimat, um sich vor der Gewalt in Sicherheit zu bringen. Die Solidarität, die ihnen auf diesem Weg begegnet, ist enorm. Nationalstaaten und Europäische Union arbeiten daran, die Hürden für Ukrainer*innen abzubauen und ihnen den Start bei uns so einfach wie möglich zu gestalten.

Ihnen wird EU-weit ein Schutzstatus gewährt, sodass sie zunächst kein Asylverfahren durchlaufen müssen. So können sie zum Beispiel einer Arbeit nachgehen und ihre Kinder ohne Hürden in Schule und Kindergarten anmelden. In Deutschland haben ukrainische Geflüchtete zudem seit Juni 2022 ein Anrecht auf Sozialleistungen wie Hartz IV.

Kurzum: wir tun alles, damit Ukrainer*innen unbürokratisch und unkompliziert ein neues Leben beginnen können. Großartig! Genauso muss eine Gesellschaft mit Schutzbedürftigen umgehen.

Aber der Schein, dass diese Solidarität allen Schutzbedürftigen gilt, trügt. Denn während wir ukrainische Geflüchtete mit offenen Armen empfangen, schließen wir andere aus. Die außerordentliche Gesetzgebung gilt eben nur Menschen aus der Ukraine, nicht Geflüchteten aus Syrien, Guinea oder dem Iran. Und weiterhin ertrinken Menschen im Mittelmeer, werden weiterhin im Wald an der polnisch-belarussischen Grenze festgehalten und immer wieder gewaltsam zurückgepusht oder leben unter miserablen Bedingungen in EU-finanzierten Flüchtlingslagern wie auf Samos.

Die Unterstützungen, die ukrainische Geflüchtete erhalten, sind gut und richtig. Die Andersbehandlung von ukrainischen Geflüchteten, weil sie uns angeblich kulturell näher sind, ist jedoch klarer Ausdruck von Rassismus. Das Recht auf Flucht und Asyl ist universell; es darf keine Differenzierung zwischen Geflüchteten geben. Krieg und Gewalt gibt es auch abseits der Ukraine. Diese Menschen müssen wir genauso willkommen heißen. Eine menschenwürdige Migrationspolitik ist möglich. Nun müssen alle von ihr profitieren.


Wo bleibt die Diplomatie?

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Russland lässt nicht von seinem verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine ab. Jeden Tag sterben Menschen, sie werden verletzt, sind traumatisiert oder müssen fliehen. Die Not und das Elend dieses durch nichts zu rechtfertigenden Kriegs sind kaum zu ertragen.

Dieses schreckliche Leid, das jeden Tag in allen Medien verfolgt werden kann, erzeugt eine Stimmung, in der die Forderung, man müsse der Ukraine schwere Waffen wie Panzer, Kampfflugzeuge und anderes liefern, wachsenden Zuspruch erfährt. Ohne Zweifel muss die Ukraine unterstützt werden, um ihren Verteidigungskrieg führen zu können. Aber es gibt Grenzen.

Zunehmend wird mehr oder weniger deutlich gefordert, Russland militärisch zur Kapitulation zu zwingen und einen Regimewechsel herbeizuführen. So sehr dies zu wünschen wäre, so sehr sind damit unkalkulierbare Risiken bis zu einem neuen atomaren Weltkrieg verbunden. Wer glaubt ernsthaft, dass der neue, sich selbst zum Imperator aufgeschwungene, Putin mit seinen Atomwaffen eine militärische Kapitulation akzeptieren würde, ohne offen die Zerstörung der Welt auch um den Preis der Selbstzerstörung Russlands hinzunehmen? Ganz unabhängig davon, dass die russische Armee trotz ihrer Schwächen und Rückschläge noch immer über erhebliches militärisches Material und Menschen verfügt, was ihnen eine militärische Überlegenheit sichert.

Die Vorstellung, diesen Krieg ausschließlich auf dem Schlachtfeld entscheiden zu wollen, ist brandgefährlich. Die Gefahren eines Nuklearkriegs sind real. Der Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker schrieb: „Die großen Bomben erfüllen ihren Zweck, den Frieden und die Freiheit zu schützen, nur, wenn sie nie fallen. Sie erfüllen diesen Zweck auch nicht, wenn jedermann weiß, dass sie nie fallen werden. Eben deshalb besteht die Gefahr, dass sie eines Tages wirklich fallen werden.“ Und je länger dieser Krieg dauert, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass es so weit kommt. Daher ist es falsch, augenblicklich nur auf einen militaristischen Kurs zu setzen, auch wenn es nötig ist, die Ukraine mit Waffen so zu unterstützen, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt. Aber dieser Krieg wird letztlich durch Verhandlungen zu beenden sein. Daher muss die Diplomatie wieder ein größeres Gewicht erhalten.

Eine gute diplomatische Initiative hat der italienische Außenminister Di Maio in einem Vierstufenplan angestoßen:

  1. Es ist ein sofortiger Waffenstillstand anzustreben. Russland muss seine Truppen zurückziehen.
  2. Es sind Verhandlungen über den Neutralitätsstatus der Ukraine zu führen.
  3. In einem bilateralen Abkommen zwischen Russland und der Ukraine sind Territorialfragen über die Krim und den Donbass zu klären.
  4. Es ist ein multilaterales Abkommen über die künftige Friedensordnung in Europa abzuschließen.

Leider ist diese Initiative bislang ohne große Resonanz geblieben, sowohl bei den europäischen Regierungen, als auch in den Leitmedien. Sie befürworten lieber schwere Waffenlieferungen und kritisieren all jene, die für eine risikoabwägende Haltung stehen und verhindern wollen, dass die NATO zur Kriegspartei wird.

Auch die Grünen haben sich mittlerweile zu einer Partei der naiven Bellizisten gewandelt, wenn sie sich gemeinsam vor allem mit den Konservativen und im Europäischen Parlament, oft gemeinsam mit den Rechtspopuplisten der polnischen PIS-Partei, für schwere Waffenlieferungen engagieren. Sie haben sich von einstigen friedensbewegten Positionen verabschiedet.

Da ist die öffentliche Debatte in den USA schon weiter. So hat der Herausgeberkreis der New York Times verlangt, dass Präsident Biden „Präsident Selenskyj klarmacht, dass es eine Grenze gibt, wie weit die Vereinigten Staaten und die NATO gehen werden, um Russland zu konfrontieren, und Grenzen für die Waffen, das Geld und die politische Unterstützung, die sie aufbringen können.“ Die Vereinigten Staaten dürfen nicht in einen lang andauernden, „umfassenden Krieg mit Russland“ gezogen werden, fordert das Editorial Board der New York Times. Das Risiko einer unkontrollierbaren Eskalation sei hoch.

Es wäre gut, eine öffentliche Debatte darüber zu führen, wie auf dem schnellsten Weg dieser Krieg gestoppt und in Europa Frieden geschaffen werden kann, um das Sterben in der Ukraine zu beenden und dem Frieden eine Chance in Europa zu geben. Dazu bedarf es mehr Diplomatie!


Antisemitismus und Hassreden auf Social-Media-Plattformen

Antisemitismus und Hassreden auf Social-Media-Plattformen

Die Social-Media-Plattformen spielen eine große Rolle in der Meinungsbildung. Das Smartphone ist schnell zur Hand und somit gibt es einen dauerhaften Zugang zu Medien, Meldungen und Nachrichten. Neben einer normalen Mediennutzung lassen sich auf den Plattformen auch offenkundige Fake-News und antisemitische Hetze finden, die im Netz als Brandbeschleuniger fungieren und zu Gewalthandlungen aufrufen.

Die Löschrate von antisemitischer Hetze auf Social-Media- Plattformen ist erschreckend gering. Anlässlich des diesjährigen Gedenktags der Opfer der Novemberpogrome vom 9. und 10. November 1938 nahm ich mit sechs weiteren Abgeordneten auf Initiative des Internationalen Instituts für Bildung, Sozial- und Antisemitismus-Forschung an dem Versuch „Online Antisemtism – The EU Strikes Back“ teil.

Mir wurden fünf Links für Twitter, YouTube und Facebook zugeschickt, die antisemitische oder die Shoa leugnende Beiträge enthalten. Da ich selbst Facebook und Instagram für meine politische Arbeit nutze, konzentrierte ich mich auf Facebook. Ich meldete über den von Facebook vorgesehenen Beschwerdeweg Antisemitismus und Shoaleugnung, was ich beides reichlich fand: Vier der fünf Links beinhalteten antisemitische Hetze und Hass. Der fünfte Post leugnete die Shoa. Ich entschied mich, alles zu melden.

Leider wurden, bezogen auf den gesamten Versuch, von neunzig antisemitischen Online-Beiträgen lediglich zehn gelöscht. Von den dreißig gemeldeten Beiträgen auf Facebook wurden nur drei entfernt. Mich entsetzte die Benachrichtigung, dass der Beitrag, der die Shoa leugnet, weiterhin verfügbar bleibt. Der Inhalt sei nicht bedenklich, so Facebook, die auf nicht weiter definierte Gemeinschaftsstandards verwiesen.

Am 9. November jährten sich die Novemberpogrome von 1938, die bis dahin der Höhepunkt der Gewaltmaßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung waren und mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 begonnen hatte. Es ist in Deutschland verboten, den Völkermord an den europäischen Juden und Jüdinnen öffentlich zu billigen, zu verharmlosen oder zu leugnen. Dennoch gibt es Menschen, die die Geschichte umdeuten und dies in Social-Media-Beiträgen kundgeben.

Ich bin entsetzt, wie einfach antisemitisches Gedankengut in den sozialen Netzwerken gepostet und geteilt werden kann. Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein. Dies regelt in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), wodurch Social-Media-Plattformen wie Facebook verpflichtet werden, gegen rechtswidrige Inhalte vorzugehen. Innerhalb von 24 Stunden müssen Beiträge, die öffentlich zu Straftaten aufrufen, beleidigend oder bedrohend sind, gelöscht werden.

Der Versuch macht deutlich, dass Social-Media- Plattformen den gesetzlichen Bestimmungen nachkommen müssen. Der Handlungsbedarf ist enorm. Es muss mehr Sichtbarkeit für dieses Problem geschaffen werden. Wir alle übrigens können in einem Selbstversuch Beiträge melden. Somit können wir Druck auf die Plattformen ausüben, dass Antisemitismus und Hassrede auch online inakzeptabel sind.

Die Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube sind in der Pflicht, solche Beiträge zu verbieten und schnellstmöglich zu löschen. Zudem sollten die Betreiber*innen verpflichtet werden, auf ihren Plattformen Aufklärungsarbeit gegen Antisemitismus zu leisten. Das wären wichtige Schritte, Antisemitismus zu bekämpfen.

Text: Dietmar Köster, Katharina Schuler


Europa darf den Terror in Belarus nicht länger ignorieren

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Der Sommer 2020 hat Belarus verändert. Landesweit haben Hunderttausende gegen die gefälschten Wahlen und gegen Diktator Alexander Lukaschenko protestiert. Jüngere, Ältere, Student*innen, Arbeiter*innen, Frauen und Männer wollten einen Wandel, sie wollten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Belarus ist geografisch nah. Von Berlin bis nach Minsk sind es nur etwas mehr als tausend Kilometer. Doch politisch war die Diskrepanz noch nie so groß wie seit der brutalen Niederschlagung der Proteste: In den vergangenen 15 Monaten wurden mehr als 40.000 Menschen verhaftet, unabhängige Beobachter*innen haben mehr als 4.500 Fälle von Folter durch den Sicherheitsapparat dokumentiert und es gibt aktuell mehr als 800 politische Langzeitgefangene – mehr als je zu Sowjetzeiten.

Mutige Frauen wie Alena Maushuk, Natallia Hersche oder Maria Kolesnikowa wurden in Scheinprozessen zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Tausende Menschen sind wegen der anhaltenden politischen Verfolgung aus Belarus geflohen, der Terror des Regimes ist alltäglich geworden: willkürliche Festnahmen, Exmatrikulierungen, Entlassungen und immer wieder Razzien.

In den vergangenen Monaten haben die Behörden alle relevanten unabhängigen Medien in Belarus geschlossen und zahlreiche Journalist*innen inhaftiert. Seit Juli wurden mehr als 270 NGOs verboten, seit Oktober gibt es keine einzige legal zugelassene Menschenrechtsorganisation in Belarus mehr. In dem osteuropäischen Land wurden faktisch alle kritischen Stimmen mundtot gemacht. Selbst das Abonnement eines oppositionellen Telegramkanals steht mittlerweile unter Strafe und Menschen werden nur aufgrund ihrer Kommentare in Sozialen Medien verhaftet. Wegen des allgegenwärtigen staatlichen Terrors trauen sich die Menschen nicht mehr zu Protesten auf die Straße. Es herrscht ein Klima der Angst.

Europa darf jetzt die Belarus*innen nicht alleine lassen! Die demokratischen Regierungen müssen gemeinsam handeln, es braucht weitere Strafmaßnahmen gegen das herrschende Regime: Dringend angebracht sind ein Verbot der Werbung internationaler Unternehmen in den belarussischen Staatsmedien, ein Handelsverbot mit belarussischen Staatsanleihen sowie Einreiseverbote und Sanktionen gegen den belarussischen Außenminister Uladsimir Makej und alle anderen Regierungsmitglieder.

Und statt der rot-grünen belarussischen Flagge, die das Lukaschenko-Regime repräsentiert, sollte international die weiß-rot-weiße Flagge verwendet werden. Das wäre zwar nur eine kleine Geste, aber eine mit großer Symbolkraft für die Menschen in Belarus. Für jene, die unter diesen Farben im vergangenen Sommer Mut fassten und anfingen, sich gegen das Unrecht zu wehren.

 

Marco Fieber, Vorsitzender der deutsch-schweizerischen Menschenrechtsorganisation Libereco – Partnership for Human Rights


Sicherer Hafen für Geflüchtete - „Handelsschiff Etienne muss sofort evakuiert werden"

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Dietmar Köster, außenpolitischer Sprecher der Europa-SPD und Mitglied der informellen Parlamentarier*innengruppe für Seenotrettung appelliert an die maltesische Regierung, das dänische Handelsschiff ‚Etienne‘ in ihren Hafen einlaufen zu lassen. 27 Menschen warten auf diesem Schiff seit mehr als fünf Wochen darauf, evakuiert zu werden.

„Anstatt dass man sich um die Geretteten kümmert, werden ihnen ihre Grund- und Menschenrechte verweigert. Sie nicht zu evakuieren, ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Die ‚Etienne‘ wird traurigerweise als das Schiff in die Geschichte eingehen, das am längsten auf See allein gelassen wurde. Das Ganze ist auch ein falsches Signal an Handelsschiffe und Reedereien: Diejenigen, die ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung zur Seenotrettung nachkommen, müssen mit finanziellen Verlusten und massiven Beeinträchtigungen rechnen. Sie sollen von der Rettung von Menschen in Seenot abgeschreckt werden“.

„Bereits am 29. August hatten das UN-Flüchtlingswerk und die Internationale Organisation für Migration eine sofortige Lösung gefordert. Nicht einmal die Appelle dieser international relevanten Institutionen scheinen Einfluss auf die maltesische Regierung zu haben.“

„Ein Handelsschiff ist weder richtig ausgerüstet, noch ist die Besatzung ausreichend darauf vorbereitet, Flüchtlinge an Bord zu nehmen. Ich bin froh und dankbar, dass die Reederei noch nicht beschlossen hat, die Menschen nach Libyen zurückzubringen. Ich appelliere an die maltesische Regierung, ihren Hafen unverzüglich zu öffnen. Und ich fordere EU-Kommission auf, die Umsiedlung der Menschen auf verschiedene EU-Staaten endlich zu koordinieren, so wie am 31. August auf einer Pressekonferenz zugesagt. Seitdem sind wieder neun Tage vergangen. Neun weitere Tage der Angst, Not und Unsicherheit für die Menschen an Bord der ‚Etienne‘.“


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Rede zum Antikriegstag 2020 in Schwerte

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Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

als langjähriger Mitstreiter der Schwerter Friedensinitiative wäre ich heute gerne hier. Ich wäre auch gerne hier, weil die Schwerter Friedensinitiative jetzt auf mittlerweile 40 Jahre Engagement zurückblicken kann. Dazu gratulier ich allen Aktiven.  Leider lassen meine Verpflichtungen als Europaabgeordneter es nicht zu, bei Euch zu sein. Daher auf diesem Wege:

81 Jahre nach dem Beginn des 2. Weltkriegs bleibt unser Engagement für Frieden und Abrüstung nötiger denn je. Seit etwa 10 Jahren nimmt die internationale Gewaltanwendung wieder zu, nachdem sie in den vorigen Jahrzehnten rückläufig war.

In Europa und weltweit besitzen nationalistische Kräfte wieder großen Einfluss. Dabei ist doch eine Lehre aus der Geschichte, dass der Nationalismus – und insbesondere der deutsche Nationalismus – einer der Hauptursachen für zwei Weltkriege war.

In den USA regiert ein Präsident, der behauptet, die nationalen Interessen müssten an erster Stelle kommen. Dabei fügte gerade seine Politik den USA den größten Schaden zu, den je ein Präsident in den USA verursacht hat. Seine Aufkündigungen der internationalen Zusammenarbeit schaden dem gesellschaftlichen Zusammenleben in den USA aber auch in der gesamten Welt. Dieser Präsident ist eine Gefahr für die gesamte zivilisierte Welt.

Er verweigert sich der internationalen Zusammenarbeit, die angesichts der weltweiten Herausforderungen so wichtig ist. Die USA drohen die Weltgesundheitsorganisation zu verlassen. Sie sind aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgestiegen und führen Handelskriege nicht nur gegen China, sondern auch gegen die EU. So drohen sie deutschen Unternehmen mit Sanktionen, die an der Fertigstellung von North-Stream 2 arbeiten. Und sie kündigen einen Rüstungskontrollvertrag nach dem nächsten.

  • Die Aufkündigung des INF-Vertrags, der die Stationierung von landgestützten atomaren Mittelstreckenraketen in Europa verbot, ist ein schwerer Rückschlag für die Begrenzung der Aufrüstung durch Atomwaffen in Europa.
  • Die Kündigung des Open–Skies-Vertrags, der es den teilnehmenden Nationen gestattete, gegenseitig ihre Territorien zu überfliegen und Aufnahmen zu machen, wird das gegenseitige Vertrauen zwischen den USA und Russland weiter erschüttern.
  • Eine neue Runde des atomaren Wettrüstens strategischer Atomraketen droht auch mit der Nichtverlängerung des NEW-START-Abkommens.

Weitere Gefahren für den Frieden bestehen in der Entwicklung neue Atomraketen mit kleinerer Sprengkraft und von Raketen mit Hyperschallgeschwindigkeit durch die USA und Russland. Damit steigt das Risiko, dass es in Europa zum Atomkrieg auch aufgrund technischer Versehen kommt.

Mittlerweile gibt es eine unselige Verbindung zwischen konventionellen und atomaren Wettrüsten in der Welt einerseits  und erstarkendem Nationalismus andererseits. Das ist eine große Gefahr für den Frieden.

Wir appellieren an die Regierungen der USA und Russlands: Hört endlich mit diesem Wahnsinn des atomaren und konventionellen Wettrüstens auf. Wir haben wahrlich Wichtigeres zu tun.

Auch rund um Europa sehen wir viele Konflikte, die ein Eskalationspotenzial besitzen und für Instabilitäten sorgen.

In Belarus gehen die Menschen auf die Straße und kämpfen für eine Demokratisierung ihrer Gesellschaft. Wir stehen an der Seite der demokratischen und friedlichen politischen Kräfte. Die Demokratisierung von Belarus ist eine Aufgabe der Belarussen. Es muss eine gewaltfreie Lösung des Konfliktes geben. Alle politischen Gefangenen müssen freigelassen werden. Notwendig ist ein nationaler Dialog zwischen den Protestierenden und der Regierung. Eine Eimischung von außen muss unterbleiben. Von wem auch immer.

In der Ostukraine herrscht nach wie vor ein Krieg auf niedrigem Niveau. Hier gibt es unter Vermittlung der EU hoffnungsvolle Anzeichen für eine friedliche Entwicklung: Seit mehr als einem Monat gibt es eine Feuerpause und Gefangene wurden zwischen den Bürgerkriegsparteien ausgetauscht.

Im östlichen Mittelmeer droht eine Eskalation des Streits zwischen Griechenland und der Türkei um Gas und Öl.

Im Nahen Osten kommt es in den letzten Tagen immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen, die von Hisbollah im Libanon und von Hamas im Gazastreifen gegen Israel ausgehen.

In Syrien und Libyen sind die Bürgerkriege noch lange nicht zu einem Ende gekommen.

Wir brauchen diplomatische und gewaltfreie Strategien zur Konfliktlösung.

Heute besteht die wichtigste Aufgabe der internationalen Politik darin, die Konflikte einzudämmen und einzuhegen und eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Aufrüstung ist der falsche Weg.

In der EU gibt es Versuche, die EU zu militarisieren und zu einer Militärmacht auszubauen.

Mit dem Aufbau der europäischen Verteidigungsgemeinschaft soll der Weg für massive Aufrüstung und zu einer international operierenden Interventionsstreitmacht bereitet werden. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Dafür hat die EU nicht den Friedensnobelpreis erhalten.

Die NATO-Staaten wollen, dass die nationalen Regierungen jeweils 2 Prozent des BIPs für Rüstung ausgeben sollen. Das ist strikt abzulehnen. Schon jetzt geben die NATO-Staaten ein Vielfaches für Rüstung im Vergleich zu Russland aus.

Notwendig ist eine Entwicklung, welche die Kooperation fördert. Das Freund-Feind-Denken muss überwunden werden. Eine Außenpolitik der Konfrontation gefährdet den Frieden.

Wir brauchen neue mutige Schritte:

Notwendig ist eine Politik der Entspannung und Zusammenarbeit.

Europa braucht Rüstungskontrollgespräche.

Europa muss atomwaffenfrei werden. 75 Jahre nach dem Abwurf von Atomwaffen über Hiroshima und Nagasaki muss die Bundesregierung einen ersten Schritt unternehmen und auf die Teilhabe von Atomwaffen verzichten.

Deutschland muss dem internationalen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beitreten.

Rüstungsexporte müssen europaweit gestoppt werden. Es muss ein sofortiger Stopp der Waffenexporte an Staaten erfolgen, die gegen die Menschenrechte verstoßen.

Am heutigen Antikriegstag bleiben wir dabei:

Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg!

Wir wollen ein Europa des Friedens und der Abrüstung. Ein soziales und ökologisches Europa der Solidarität!